Wohnstuben-Provider

Wohnstuben-Provider: Wenn Hosting-Giganten eigentlich nur der Typ aus dem dritten Stock sind

Es gibt Hostinganbieter, die mit ihren Rechenzentren, ihrer technischen Expertise und massiven Server-Infrastrukturen echt beeindrucken. Und dann gibt es die anderen … die tollen Beispiele menschlicher Kreativität … die mutigen Pioniere, die Hosting im wahrsten Sinne des Wortes „im Kleinen“ denken: Die Wohnstuben-Provider.

Diese Helden des digitalen Minimalismus bieten alles, was das Herz begehrt: Domains, Webhosting, E-Mail, VPS, „dedizierte Server“, Cloudlösungen, 24/7-Support und selbstverständlich eine „eigene redundante Infrastruktur“.

Wo genau die ist?

In einer Altbauwohnung mit Teppichboden, der schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat, und einem Küchenlicht, das stroboskopartige Warnsignale sendet.

Auf der Website wird behauptet, dass sie ein führender Hostinganbieter sind, aber die Realität sieht anders aus.

Die Wohnzimmer-Giganten sind der Hammer:

Die Website sieht so futuristisch aus, dass man glaubt, sie würden gleich den Mars kolonisieren. Überall glänzende Serverracks mit blauer Beleuchtung – die vermutlich aus kostenlosen Stockfotos stammen, die sonst gerne von Firmen genutzt werden, die LED-Unterbodenbeleuchtung für Tuningautos verkaufen.

Die Beschreibung klingt wie der feuchte Traum eines CTO:

  • „Hochperformantes Enterprise Cloud Hosting“
  • „ISO-zertifizierte Sicherheitsarchitektur“
  • „Stand-alone Bare-Metal-Infrastruktur“
  • „Multi-Geo-Servercluster“

Die Multi-Geo-Infrastruktur besteht in Wahrheit aus exakt einem Standort:

Die Ecke vom Wohnzimmer hinter dem Wäscheständer.

Der Rechenzentrumskomplex: Ein einziger IKEA-Staubhaufen, ein Kabelgewirr, das sich durch den ganzen Raum zieht.

Die echten Rechenzentren großer Hostingfirmen sind echt beeindruckend: kühl, blitzsauber, redundante Stromversorgung, Notstromaggregate, Brandschutz, professionelles Management.

Bei dem Wohnstuben-Provider sieht das so aus:

  • Auf einem Schreibtisch stehen zwei gebrauchte Mini-PCs, die auf einem wackeligen Tisch stehen.
  • Der Router hat sieben verschiedene LED-Blinkmuster, von denen keines beruhigend wirkt.
  • Der Switch läuft nur stabil, wenn niemand die Tür zu fest zuschlägt.
  • Ein Verlängerungskabel, das wie eine spontane Feuershow aussieht.
  • Ein Ventilator, der mit Kabelbindern am Regal festgemacht ist. Er erzeugt die Illusion einer kühlen Luftzirkulation, die für die Optimierung der Serverkühlung sorgen soll.

Die „Redundanz“ besteht darin, dass unterm Schreibtisch noch ein Laptop liegt, der „zur Sicherheit“ eingeschaltet ist. Und die „Brandschutzmaßnahmen“ bestehen darin, dass im Flur ein Feuerlöscher steht – selbstverständlich unbenutzt, seit man ihn vor fünf Jahren aus dem Baumarkt mitgenommen hat.

Das Geschäftsmodell ist eigentlich ganz easy: Reseller, aber mit theatralischer Selbstüberschätzung.

Reselling ist total üblich und meistens auch seriös. Wohnstuben-Provider machen Reselling auf eine Art und Weise, die man nur als künstlerische Performance bezeichnen kann.

Sie kaufen Server in richtigen Rechenzentren, zum Beispiel einen kleinen VPS, und nennen ihn:

  • „Data Center Node West 1“.
  • „Cloud Infrastructure Gateway“.
  • „Standalone Bare-Metal-Solution“
  • Oder, besonders beliebt: „Enterprise Cluster Knotenpunkt“.

In Wirklichkeit hostet dieser „Cluster-Knotenpunkt“ ihre private Nextcloud, einen Minecraft-Server von 2016 und die Website eines Freundes, der ihnen dafür ein Sixpack Bier spendiert hat.

Support? Ja, den gibt es auch – zumindest theoretisch.

  • Bei echten Hostingunternehmen gibt es Support-Teams.
  • Beim Wohnstuben-Provider gibt es … ja, was eigentlich?

Servicemitarbeiter, die nie existiert haben.

Auf der Website sieht man ein „Team“:

  • Maria: Head of Customer Happiness.
  • Sven: Senior security analyst.
  • Kevin: Chief Server Engineer.
  • Lisa: DevOps Specialist.

Alle fröhlich lächelnd, alle perfekt ausgeleuchtet, alle wahrscheinlich aus irgendeiner Bilddatenbank, die auch von Krankenkassen und Versicherungen genutzt wird.

Eigentlich beantwortet eine Person alle Anfragen – meistens aber nur halbherzig und im Halbschlaf.

Die Realität der Textbausteine

Egal, was man schreibt, man bekommt immer dasselbe zurück.

Völlig egal, was man fragt:

  • „Wie komme ich da ins Control Panel?“
  • „Mein Server ist seit 72 Stunden offline. Was tun?“
  • „Warum sind meine Daten weg?“
  • „Wurde mein Server gerade gehackt?“
  • „Warum steht im Logfile eindeutig, dass eure Katze die Tastatur benutzt hat?“

Die Antwort ist immer die gleiche:

  • „Danke für Ihre Anfrage. Wir arbeiten ständig daran, unseren Service zu verbessern.“

oder

  • „Dein Feedback ist uns wichtig. Wir leiten es an unser Team weiter.“

Welches Team?

  • Das imaginäre Team.
  • Das Team, das nur in den Textbausteinen existiert.
  • Ein Team, das wahrscheinlich mehr Fantasie besitzt als der gesamte Hostingbetrieb.

Datensicherheit: Eine Frage des Optimismus

Wohnstuben-Provider versprechen:

  • „Firewall Protection Level 5“
  • „End-to-End-Security“
  • „Zertifizierte Datenintegrität“

In Wirklichkeit bedeutet das:

  • Die Backups sind auf einem USB-Stick in der Schublade in der Küche.
  • Das Passwort ist „Server123“.
  • Die „Firewall“ ist der Router, den mein Mitbewohner ständig neu startet, weil Netflix ruckelt.
  • Updates werden gemacht, wenn wir Zeit dafür haben. Meistens haben wir die Zeit aber nicht.

Wenn du Wert auf Datensicherheit legst, ist eine Papiertüte im Regen wahrscheinlich die bessere Wahl.

Hier ist der wichtigste Insider-Trick, und zwar die Google-Maps-Erkenntnis.

Wenn du wissen willst, ob ein Hoster seriös ist, mach Folgendes:

  1. Geh ins Impressum
  2. Kopiere die Adresse
  3. Geh zu Google Maps
  4. Street View
  5. Bereite dich mental vor

Wenn du ein hochmodernes Rechenzentrum erwartest, aber stattdessen Folgendes siehst:

  • Das Haus ist in einem ziemlich schlechten Zustand und muss dringend saniert werden.
  • Ein Hauseingang, der aussieht wie aus der Serie „Tatort – Staffel 8“.
  • Ein paar Blumenkästen mit abgestorbenen Geranien.
  • Drei Fahrräder, die seit 2014 ungenutzt sind.
  • Einen Balkon, auf dem eine ganze Reihe Plastikstühle steht.

Dann weißt Du, dass diese Firma wohl eher nicht die „Cloudlösung der Zukunft“ betreibt.

Fazit: Hosting ist super, aber Wohnzimmer-Märchen sind es weniger.

Klar, es gibt auch viele kleine, ehrliche und seriöse Hostingbetriebe.

Dieser Text ist nicht gegen sie gerichtet.

Ich meine damit eher die Leute, die Hosting spielen wollen, ohne Ahnung, ohne Infrastruktur, ohne Personal – aber mit maximaler Selbstüberschätzung und ausreichend Stockfotos, um ein gesamtes Rechenzentrum zu simulieren.

Darum:

  • Bitte prüfe die Adresse im Impressum.
  • Verwende Google Maps.
  • Textbaustein-Support enttarnen
  • Versprechen mit gesunder Skepsis betrachten.

Denn am Ende gilt:

Ein Wohnzimmer ist kein Rechenzentrum.

Auch wenn auf der Website viel Fantasie zu finden ist.